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Bericht 2020: Zunehmende Bewegung an politischen Rändern

Stübgen: „Der Rechtsextremismus war, ist und bleibt unsere Hauptherausforderung in Brandenburg“

- Erschienen am 23.06.2021 - Pressemitteilung 104/2021

Potsdam – Innenminister Michael Stübgen und der Leiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Jörg Müller, haben heute in Potsdam den Verfassungsschutzbericht 2020 vorgestellt. Der Bericht fasst Erkenntnisse zu sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen im Land Brandenburg im vergangenen Jahr zusammen. Während im Phänomenbereich Rechtsextremismus und beim Islamischen Extremismus ein steigendes Personenpotential festzustellen war, wurde in den Bereichen Linksextremismus, Auslandsbezogener Extremismus sowie bei den Reichsbürgern und Selbstverwaltern in Brandenburg ein leichter Rückgang registriert.

Stübgen: „Die politischen Ränder unserer Gesellschaft geraten zusehends in Bewegung – das ist eine zentrale Erkenntnis des Verfassungsschutzberichtes 2020 für unser Land. Der Rechtsextremismus bleibt dabei unsere Hauptherausforderung in Brandenburg. Durch gezielte Entgrenzung und politische Bestrebungen versuchen bestimmte Kräfte, den Rechtsextremismus mit der Mitte der Gesellschaft zu verzahnen. Aber auch die Entwicklung im Islamischen Extremismus darf uns nicht ruhen lassen – im Gegenteil. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass der Verfassungsschutz überall genau hinschaut. Denn die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben uns dazu verpflichtet, unsere Freiheit vor allen ihren Feinden zu schützen. Ein wesentliches Instrument ist dabei unser Verfassungsschutz.“

Müller: „Unter Berücksichtigung des Verdachtsfalls AfD ist das rechtsextremistische Personenpotential mit 2.860 Personen das Höchste in der Geschichte des Landes. Die Gründe, welche im Juni 2020 dazu führten, dass der gesamte AfD-Landesverband als Verdachtsfall eingestuft wurde, bestehen unvermindert fort. Es liegen weiterhin hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass von der AfD Brandenburg Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen.  Neben der AfD zählen auch der neonationalsozialistisch beeinflusste und erwiesen rechtsextremistische Verein „Zukunft Heimat“ sowie der Verdachtsfall „COMPACT-Magazin“ zu den zentralen Entgrenzungsakteuren in Brandenburg.“

Die Entwicklungen im Einzelnen

Rechtsextremismus

Das rechtsextremistische Personenpotenzial unter Berücksichtigung des Verdachtsfalls AfD erreichte im Jahr 2020 mit 2.860 (+ 95) einen erneuten Höchststand und damit den siebten Anstieg in Folge. Auf die AfD inklusive ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative für Deutschland“ entfallen hierbei 780 (+ 110) Personen. Nach Angaben des Leiters des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Jörg Müller, ergeben sich die 780 Personen aus dem 40-prozentigen „Flügel“-Potenzial der brandenburgischen AfD-Gesamtmitgliedschaft, was 680 Personen entspricht. Hinzu kommen 50 Mitglieder der Jungen Alternative sowie weitere 50 als extremistisch eingestufte Personen. Den Zahlen liegt somit eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde. Dieser Maßstab wurde angelegt, da es sich um einen Verdachtsfall handelt. Anderslautende Aussagen aus der Spitze des brandenburgischen Landesverbandes über einen noch höheren Anteil des „Flügels“ können somit nicht unmittelbar in Personenpotenziale umgerechnet werden. 

Die Zahl der Mitglieder des Verdachtsfalls AfD macht sich insbesondere bei dem Personenpotenzial rechtsextremistischer Parteien bemerkbar. Alle rechtsextremistischen Parteien zusammen verfügten im Jahr 2020 über rund 1.075 (+ 105) Mitglieder. Die Mitgliederzahl der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) ist auf 250 (- 10) gesunken. Sie ist praktisch handlungsunfähig. Versuche, sich an Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zu beteiligen, konnten den Abwärtstrend nicht stoppen. Die auf 45 (+ 5) Mitglieder angewachsene Organisation „DER DRITTE WEG“ ist massiv neonationalsozialistisch ausgerichtet und beansprucht den Parteienstatus.

Das „weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial“ umfasste im Jahr 2020 insgesamt 1.585 (+ 20) Personen. Damit ist ein erheblicher Teil der dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremisten nicht in Parteien oder parteiunabhängigen Strukturen eingebunden. Trotz allem bestehen Kontakt- und Kennverhältnisse. Daher lassen sich aus dieser Gruppe jederzeit Personen für Aktivitäten von Parteien oder anderen Strukturen mobilisieren.

Im Jahr 2020 entfielen auf die Kategorie „Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen“ insgesamt 410 (+ 30) Personen. Sie waren in 16 Personenzusammenschlüssen organisiert. Das betrifft jeweils unverändert zwei „Kameradschaften“, zwei „Freie Kräfte“, zwei „Vereine“ und zwei „Kampfsportgruppen“. Die Zahl der „Bruderschaften“ ist auf acht (+ 1) angestiegen.

1.285 (+ 5) und damit 45 Prozent aller dem Verfassungsschutz Brandenburg im Jahr 2020 bekannten Rechtsextremisten gelten als „gewaltorientiert“. Erneut rückläufig waren dagegen Gewaltstraftaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“. Im Jahr 2020 wurden 69 (- 21) entsprechende Delikte registriert.

Die rechtsextremistische Musikszene konnte trotz der Corona-Schutzmaßnahmen ihre Aktivitäten eingeschränkt aufrechterhalten. Die Zahl der Bands bleibt hoch und stieg auf 24 (+ 2). Die Zahl der Liedermacher ist auf 18 (+ 1) angewachsen. Aufgrund des hohen und erfolgreichen Drucks der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei, und den pandemiebedingten Einschränkungen konnte im Jahr 2020 nur noch ein (- 3) Konzert stattfinden. Die Zahl der Liederabende ist auf fünf (- 9) gefallen. Die Veröffentlichung neuer Tonträger sank auf 13 (- 5).

Insgesamt betrachtet, treten rechtsextremistische Bestrebungen im Süden des Landes weiterhin stärker als in anderen Landesteilen in Erscheinung. Dort existiert eine gewachsene, verdichtete und verzahnte Mischszene. Zu ihr zählen Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker, Parteimitglieder, Bekleidungs- sowie Musiklabels und Hooligans. Hinzu kommen weitere extremistische Aktivitäten, wie die vom Verein ‚Zukunft Heimat‘ und vom Verdachtsfall AfD.

Reichsbürger und Selbstverwalter

Die Zahl verfassungsschutzrelevanter „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ist im Jahr 2020 auf 570 (- 30) leicht gesunken.

Linksextremismus

Sowohl im bundesweiten Vergleich als auch im Vergleich zum Rechtsextremismus ist der Linksextremismus in Brandenburg deutlich weniger relevant. Nachdem das Personenpotenzial über mehrere Jahre kontinuierlich aufwuchs, war es im Jahr 2020 mit 640 (- 10) leicht rückläufig.

Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag unverändert bei 240. Die Gewaltstraftaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – links“ sind auf 12 (- 12) gesunken. In unverändert 14 Kommunen beziehungsweise Regionen waren gewaltorientierte Autonome aktiv. Der Verein „Rote Hilfe“ zählte im Jahr 2020 unverändert 360 Mitglieder, die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) unverändert 50 Mitglieder.

Islamischer Extremismus

Die Zahl islamischer Extremisten steigt seit dem Jahr 2013 kontinuierlich an. Im Jahr 2020 wurden 200 (+ 10) gezählt. Der Zuwachs ist auf ein steigendes salafistisches Personenpotenzial zurückzuführen. Hinzu kommt die Ausdehnung islamistisch-legalistischer Bestrebungen, die zuvor nicht in Brandenburg aktiv waren. Rund 70 Personen weisen Bezüge zur „Islamistischen Nordkaukasischen Szene“ auf. Diese sind relevant, denn Gruppierungen im Kaukasus hatten sich teilweise der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) unterstellt.

Auslandsbezogener Extremismus

Das größte Personenpotenzial im Bereich Auslandsbezogener Extremismus weist in Brandenburg die bundesweit mit einem Betätigungsverbot belegte „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) auf. Im Jahr 2020 wurden ihr rund 80 Personen (- 10) zugerechnet. Die Gesamtzahl der auslandsbezogenen Extremisten betrug im Jahr 2020 insgesamt 95 (-10).

Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfungen

Neben der Beobachtung extremistischer Bestrebungen wirkt der Verfassungsschutz an Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit. So soll beispielsweise verhindert werden, dass dem Verfassungsschutz bekannte Extremisten beruflichen Zugang zum Sicherheitsbereich von Flughäfen erlangen oder Asylunterkünfte bewachen.

Dieselbe Überprüfung ist für Personen möglich, die beispielsweise als Sicherheitspersonal bei Fußballspielen eingesetzt werden. Im Jahr 2020 gingen insgesamt 9.436 (+ 1.663) entsprechende Anfragen beim brandenburgischen Verfassungsschutz ein.

Als Sicherheitsdienstleister wirkt der Verfassungsschutz ebenfalls an den personalintensiven Sicherheitsüberprüfungen mit. Betroffen sind davon Mitarbeiter von etwa 20 Behörden (unter anderem: Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften). 308 (+ 41) Sicherheitsüberprüfungen waren es im Jahr 2020.