Angermünde
Hochstapler in der Märchenwache
Das Polizeigebäude in Angermünde war einst ein Gericht, in dessen Gewahrsam vor knapp 160 Jahren schon der spätere „Hauptmann von Köpenick“ einsaß
Von Stephan Henke
Dass Hochstapler und Betrüger es zu einer gewissen – zweifelhaften – Bekanntheit schaffen, ist historisch gesehen ein nicht seltenes Phänomen. Wolfgang Beltracchi fälschte Bilder, Konrad Kujau die Hitler-Tagebücher und der gelernte Postbote Gerd Postel praktizierte als Arzt. Ein vielleicht noch berühmterer Vorgänger dieser drei ist der Hauptmann von Köpenick, mit bürgerlichem Namen Wilhelm Voigt. Der Schuhmacher verkleidete sich 1906 als Hauptmann, sprach eine Gruppe Soldaten an, ging mit ihnen ins Köpenicker Rathaus und beschlagnahmte die Stadtkasse. Ein Coup, der in Büchern, Theaterstücken und Spielfilmen später vielfach verarbeitet wurde.
Voigt versuchte aus seiner schon zu Lebzeiten hohen Bekanntheit einen gewissen Nutzen zu ziehen, wie ein Ausschnitt aus der Angermünder Zeitung vom 7. Oktober 1912 zeigt. Unter der Überschrift „Der Hauptmann von Köpenick in Angermünde“, wurde verkündet, dass Voigt am nächsten Tag auf der Durchreise nach Stettin im Hotel „Berliner Hof“ absteige. „Wer denselben also persönlich kennenlernen will, hat dazu Gelegenheit“, heißt es unter den „Provinzial Nachrichten. Aus Kreis und Uckermark“, wie der Verein für Heimatkunde Angermünde schon 2000 in seinem Heimatkalender veröffentlichte.
Angermünde spielte für Voigt aber schon 45 Jahre früher eine nicht unwichtige Rolle in seinem Leben. Im Januar 1867 wurde er als damals 17-Jähriger von einem Postmitarbeiter ertappt, wie er unter dem Adelsnamen August von Zander Geldanweisungen gefälscht hatte. Dabei ließ er sich deutlich höhere Beträge auszahlen, indem er vor eine 1 beispielsweise noch eine 4 setzte und sich somit 41 statt einen Taler auszahlen lassen wollte. Unterschiedliche Tintenfarben verrieten ihn schließlich, er wurde festgenommen und verbrachte eine Nacht im Gewahrsam des damaligen Angermünder Kreisgerichts, ehe er im April 1867 im Prenzlauer Schwurgericht zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Wenn Andreas Weber die damalige Zelle 17 von Voigt betritt, muss sich der Angermünder Revierleiter bücken.
„Die Türen sind so niedrig, damit man nur gebückt durchgehen konnte und seine Demut zeigen musste“,
erklärt Weber die alte Bauweise. Der 60-Jährige ist seit 2011 für das Revier in der Uckermark zuständig und hat schon die ein oder andere Reisegruppe durch das alte Gebäude am Angermünder Marktplatz geführt, in welchem seit 2001 auch das Reviergebäude beheimatet ist.
Dort gibt es seit dem Einzug der Polizei einen neuen Gewahrsam, der durch die Umbauarbeiten am Inspektionsstandort Prenzlau aktuell auch in Betrieb ist.
„Wir liegen genau im Zentrum, es gibt keine großen Wege für die Bevölkerung. Das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Stellen Sie sich vor, wir wären irgendwo außerhalb im Gewerbegebiet, wie beispielsweise die Bundespolizei. Da fährt auch kein Stadtlinienbus hin, wie sollte da die ältere Generation hinkommen?“,
zählt Weber die Vorteile des Hauses auf, das 1850 gebaut wurde.
„Von außen sieht das Gebäude ziemlich groß aus, wenn man drinnen ist, sieht man dann, dass es viel Flur gibt“,
sagt Weber, der die Arbeitsbedingungen im Gebäude als „angenehm“ bezeichnet. 28 Kolleginnen und Kollegen (4 Revierpolizisten, 2 Staatsschutz, 21 Wach- und Wechseldienst, 1 Kripo) arbeiten dort, aktuell nutzen sie den alten Gerichtssaal auch als Umkleide. Die Besonderheit am Gebäude ist ein kleiner Turm, bis vor sechs Jahren war es noch mit wildem Wein bewachsen, ehe ein Sturm einen Großteil der Kletterpflanze von der Wand gerissen hat.
„Im Volksmund werden wir ,Märchenwache‘ genannt, wegen des Turms, des Baustils, vorher auch dem wilden Wein, sodass es im Gesamtbild aussah wie ein Märchenschloss“,
erzählt Weber.
„Und ein bisschen lässt sich das auch auf die Kriminalitätslage übertragen. Da sind Schwedt und Prenzlau schon höher belastet.“
Er sage immer, dass Angermünde die Warte des Friedens ist, erzählt Weber.
„Es passiert hier nicht so viel. Natürlich auch, weil Angermünde eben ein großes Dorf ist. Wir leben hier auch von den Erkenntnissen und Feststellungen der Bevölkerung, wir haben uns ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut“,
sagt Weber über das Revier, das insgesamt 325 Quadratkilometer umfasst und in dem 13.800 Menschen leben. Als Hauptaufgabe sieht er die Zusammenarbeit und Kontaktpflege mit Schulen, Behörden und Unternehmen.
„Die Kriminalitätslage ist überschaubar, Schwerpunkte sind das Alltägliche, Sachbeschädigung, Körperverletzung. Klar gibt es hier auch mal größere Sachen, aber das hält sich in Grenzen“,
sagt Weber. Einen spektakulären Kriminalfall wie die Festsetzung des jungen Wilhelm Voigt gab es zuletzt nicht, Vermögens- und Fälschungsdelikte sind in Angermünde und den Ortsteilen laut polizeilicher Kriminalstatistik im vergangenen Jahr gesunken.
Neben dem Hochstapler Wilhelm Voigt hat noch eine andere bekannte Persönlichkeit eine Beziehung nach Angermünde, wie der Karikaturist und Hauptmann-von-Köpenick-Experte Achim Purwin in einem Reisebericht aus dem Jahr 2022 über einen Besuch in Angermünde schreibt. Das Hotel „Berliner Hof“, in welchem der Hauptmann von Köpenick 1912 auf seiner Durchreise nächtigte, wurde 1865 als „Dietrichs Etablissement“ gegründet – vom Großvater von Filmlegende Marlene Dietrich.
Adresse Polizeirevier: Am Markt 18, 16278 Angermünde
Baujahr des Gebäudes: ca. 1810, Umbau 1999/2000
Seit wann von der Polizei genutzt: seit 2001 Sitz der Polizei Angermünde
Größe der Liegenschaft: 1.405 m²
Zahl der Büros: 14 Büros (lt. Raumbuch 2008)
Vorherige Nutzungen: Kreisgericht mit Amtsgericht, Arbeitsgericht, Notariat u. Staatsanwaltschaft
Besonderheit: Historisches Gebäude, Denkmalschutz, berühmtester Insasse Schustergeselle Wilhelm Voigt, später bekannt als Hauptmann von Köpenick
Quelle: BLB
Hochstapler in der Märchenwache
Das Polizeigebäude in Angermünde war einst ein Gericht, in dessen Gewahrsam vor knapp 160 Jahren schon der spätere „Hauptmann von Köpenick“ einsaß
Von Stephan Henke
Dass Hochstapler und Betrüger es zu einer gewissen – zweifelhaften – Bekanntheit schaffen, ist historisch gesehen ein nicht seltenes Phänomen. Wolfgang Beltracchi fälschte Bilder, Konrad Kujau die Hitler-Tagebücher und der gelernte Postbote Gerd Postel praktizierte als Arzt. Ein vielleicht noch berühmterer Vorgänger dieser drei ist der Hauptmann von Köpenick, mit bürgerlichem Namen Wilhelm Voigt. Der Schuhmacher verkleidete sich 1906 als Hauptmann, sprach eine Gruppe Soldaten an, ging mit ihnen ins Köpenicker Rathaus und beschlagnahmte die Stadtkasse. Ein Coup, der in Büchern, Theaterstücken und Spielfilmen später vielfach verarbeitet wurde.
Voigt versuchte aus seiner schon zu Lebzeiten hohen Bekanntheit einen gewissen Nutzen zu ziehen, wie ein Ausschnitt aus der Angermünder Zeitung vom 7. Oktober 1912 zeigt. Unter der Überschrift „Der Hauptmann von Köpenick in Angermünde“, wurde verkündet, dass Voigt am nächsten Tag auf der Durchreise nach Stettin im Hotel „Berliner Hof“ absteige. „Wer denselben also persönlich kennenlernen will, hat dazu Gelegenheit“, heißt es unter den „Provinzial Nachrichten. Aus Kreis und Uckermark“, wie der Verein für Heimatkunde Angermünde schon 2000 in seinem Heimatkalender veröffentlichte.
Angermünde spielte für Voigt aber schon 45 Jahre früher eine nicht unwichtige Rolle in seinem Leben. Im Januar 1867 wurde er als damals 17-Jähriger von einem Postmitarbeiter ertappt, wie er unter dem Adelsnamen August von Zander Geldanweisungen gefälscht hatte. Dabei ließ er sich deutlich höhere Beträge auszahlen, indem er vor eine 1 beispielsweise noch eine 4 setzte und sich somit 41 statt einen Taler auszahlen lassen wollte. Unterschiedliche Tintenfarben verrieten ihn schließlich, er wurde festgenommen und verbrachte eine Nacht im Gewahrsam des damaligen Angermünder Kreisgerichts, ehe er im April 1867 im Prenzlauer Schwurgericht zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Wenn Andreas Weber die damalige Zelle 17 von Voigt betritt, muss sich der Angermünder Revierleiter bücken.
„Die Türen sind so niedrig, damit man nur gebückt durchgehen konnte und seine Demut zeigen musste“,
erklärt Weber die alte Bauweise. Der 60-Jährige ist seit 2011 für das Revier in der Uckermark zuständig und hat schon die ein oder andere Reisegruppe durch das alte Gebäude am Angermünder Marktplatz geführt, in welchem seit 2001 auch das Reviergebäude beheimatet ist.
Dort gibt es seit dem Einzug der Polizei einen neuen Gewahrsam, der durch die Umbauarbeiten am Inspektionsstandort Prenzlau aktuell auch in Betrieb ist.
„Wir liegen genau im Zentrum, es gibt keine großen Wege für die Bevölkerung. Das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Stellen Sie sich vor, wir wären irgendwo außerhalb im Gewerbegebiet, wie beispielsweise die Bundespolizei. Da fährt auch kein Stadtlinienbus hin, wie sollte da die ältere Generation hinkommen?“,
zählt Weber die Vorteile des Hauses auf, das 1850 gebaut wurde.
„Von außen sieht das Gebäude ziemlich groß aus, wenn man drinnen ist, sieht man dann, dass es viel Flur gibt“,
sagt Weber, der die Arbeitsbedingungen im Gebäude als „angenehm“ bezeichnet. 28 Kolleginnen und Kollegen (4 Revierpolizisten, 2 Staatsschutz, 21 Wach- und Wechseldienst, 1 Kripo) arbeiten dort, aktuell nutzen sie den alten Gerichtssaal auch als Umkleide. Die Besonderheit am Gebäude ist ein kleiner Turm, bis vor sechs Jahren war es noch mit wildem Wein bewachsen, ehe ein Sturm einen Großteil der Kletterpflanze von der Wand gerissen hat.
„Im Volksmund werden wir ,Märchenwache‘ genannt, wegen des Turms, des Baustils, vorher auch dem wilden Wein, sodass es im Gesamtbild aussah wie ein Märchenschloss“,
erzählt Weber.
„Und ein bisschen lässt sich das auch auf die Kriminalitätslage übertragen. Da sind Schwedt und Prenzlau schon höher belastet.“
Er sage immer, dass Angermünde die Warte des Friedens ist, erzählt Weber.
„Es passiert hier nicht so viel. Natürlich auch, weil Angermünde eben ein großes Dorf ist. Wir leben hier auch von den Erkenntnissen und Feststellungen der Bevölkerung, wir haben uns ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut“,
sagt Weber über das Revier, das insgesamt 325 Quadratkilometer umfasst und in dem 13.800 Menschen leben. Als Hauptaufgabe sieht er die Zusammenarbeit und Kontaktpflege mit Schulen, Behörden und Unternehmen.
„Die Kriminalitätslage ist überschaubar, Schwerpunkte sind das Alltägliche, Sachbeschädigung, Körperverletzung. Klar gibt es hier auch mal größere Sachen, aber das hält sich in Grenzen“,
sagt Weber. Einen spektakulären Kriminalfall wie die Festsetzung des jungen Wilhelm Voigt gab es zuletzt nicht, Vermögens- und Fälschungsdelikte sind in Angermünde und den Ortsteilen laut polizeilicher Kriminalstatistik im vergangenen Jahr gesunken.
Neben dem Hochstapler Wilhelm Voigt hat noch eine andere bekannte Persönlichkeit eine Beziehung nach Angermünde, wie der Karikaturist und Hauptmann-von-Köpenick-Experte Achim Purwin in einem Reisebericht aus dem Jahr 2022 über einen Besuch in Angermünde schreibt. Das Hotel „Berliner Hof“, in welchem der Hauptmann von Köpenick 1912 auf seiner Durchreise nächtigte, wurde 1865 als „Dietrichs Etablissement“ gegründet – vom Großvater von Filmlegende Marlene Dietrich.
Adresse Polizeirevier: Am Markt 18, 16278 Angermünde
Baujahr des Gebäudes: ca. 1810, Umbau 1999/2000
Seit wann von der Polizei genutzt: seit 2001 Sitz der Polizei Angermünde
Größe der Liegenschaft: 1.405 m²
Zahl der Büros: 14 Büros (lt. Raumbuch 2008)
Vorherige Nutzungen: Kreisgericht mit Amtsgericht, Arbeitsgericht, Notariat u. Staatsanwaltschaft
Besonderheit: Historisches Gebäude, Denkmalschutz, berühmtester Insasse Schustergeselle Wilhelm Voigt, später bekannt als Hauptmann von Köpenick
Quelle: BLB
-
Reviergebäude
Im Volksmund heißt das Reviergebäude aufgrund des Baustils auch „Märchenwache“.
-
Altes Gericht Warnemünde
Bis vor sechs Jahren war das Polizeigebäude noch mit wildem Wein bewachsen, der nach einem Sturm entfernt werden musste.
Quelle: Tourismusverein Angermünde e.V.
-
Revierleiter
Andreas Weber leitet seit 2011 das Revier in Angermünde.
-
Luftaufnahme
Die Polizei nutzt Großteile des Gebäudes am Angermünder Marktplatz, im Seitenflügel unten im Bild ist der alte Gerichtsgewahrsam, der leer steht.
Quelle: Verein für Heimatkunde Angermünde e.V.
-
Alter Gerichtsgewahrsam
Der alte Gerichtsgewahrsam steht inzwischen leer, bis 1965 wurde er noch genutzt.
-
Alte Zelle im stillgelegten Gerichtsgewahrsam
In dieser Zelle saß Wilhelm Voigt, der spätere „Hauptmann von Köpenick“ 1867 für eine Nacht in Angermünde.
-
Zeitungsausschnitt
In der Angermünder Zeitung vom 7. Oktober 1912 wurde die Durchreise des Hauptmanns von Köpenick angekündigt, wie der Heimatverein in seinem Heimatkalender im Jahr 2000 veröffentlichte.
Quelle: Verein für Heimatkunde Angermünde e.V.
-
Wegweiser
Das Polizeigebäude befindet sich an zentraler Stelle in der Stadt am Marktplatz in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus.