Innenminister Stübgen: Rechtsextremismus weiter größte Gefahr für Brandenburg
Zweithöchster Stand an Rechtsextremisten / Zahl an Reichsbürgern deutlich gestiegen / Scientology Organisation wieder im Bericht erwähnt
- Erschienen am - PresemitteilungPotsdam - Der Rechtsextremismus ist auch im vergangenen Jahr der mit Abstand größte Phänomenbereich in Brandenburg gewesen. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2021 hervor, den Innenminister Michael Stübgen und der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Jörg Müller, heute in Potsdam vorgestellt haben. Demnach ist das rechtsextremistische Personenpotenzial zwar auf 2.830 Personen (-30) gesunken, gleichzeitig stiegen die Gewaltstraftaten auf 108 Straftaten (+39). Die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter nahm um 80 auf 650 Personen zu.
Innenminister Michael Stübgen: „Der Verfassungsschutz befasst sich mit allen extremistischen Entwicklungen in unserem Land. Aber vom Rechtsextremismus geht in Brandenburg weiterhin mit Abstand die größte Gefahr aus. Die Gewaltstraftaten sind vergangenes Jahr deutlich gestiegen, das Personenpotenzial ist das zweithöchste seit Bestehen des Landes. Dazu kommt ein erheblicher Zuwachs bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Diese Entwicklung ist im Wesentlichen auf die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen. Dass mit dem Abflauen der Pandemie auch die rechtsextremistischen Aktivitäten zurückgehen, damit ist vermutlich nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Rechtsextremisten streben weiter danach, verfassungsfeindliche Inhalte gesellschaftsfähig zu machen. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Demokratie und Freiheit sind Errungenschaften, die es ständig vor ihren Feinden zu verteidigen gilt. Das zeigt gerade der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auf brutale Art und Weise.“
Das Personenpotenzial im Linksextremismus ist mit 630 (-10) etwas rückläufig. Im Islamischen Extremismus ist es leicht auf 210 (+10) angewachsen und hat damit einen neuen Höchststand erreicht. Auf konstant niedrigem Niveau bewegt sich der Auslandsbezogene Extremismus mit unverändert 95 (+/- 0) Personen. Erstmals seit rund 20 Jahren wurde die extremistische Psycho-Sekte Scientology Organisation (SO) wieder in den Jahresbericht aufgenommen, da es ein erhöhtes Erkenntnisaufkommen unter anderem über die SO-Tarnorganisation „The Way To Happiness“ gibt.
Die Entwicklungen im Einzelnen
Rechtsextremismus
Innerhalb des Rechtsextremismus ist der Verdachtsfall „Alternative für Deutschland“ (AfD) die größte Einzelbestrebung. Dieser werden 790 (+10) Personen zugerechnet. Der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Jörg Müller: „Die AfD hat im letzten Jahr weiterhin hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür geliefert, dass es sich bei ihr um eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auf der Basis eines Verdachtsfalls handelt. Das liegt unter anderem an ihrem völkisch-nationalistischen Lager.“
Bei der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) hat sich der Abwärtstrend fortgesetzt. Sie ist mit ihren 210 (-40) Mitgliedern praktisch nicht mehr handlungsfähig. Müller: „Ihr droht, zwischen AfD und DER DRITTE WEG zerrieben zu werden.“ Im Gegensatz dazu strebt die gut vernetzte und aktionistische Kleinstpartei DER DRITTE WEG trotz der unverändert nur 45 (+/-0) Mitglieder einen ideologisch-organisatorischen Führungsanspruch insbesondere im Bereich der neonationalsozialistisch orientierten Szene an. Müller: „Es muss absehbar mit einem Ausbau der Strukturen gerechnet werden. Eine Übernahme zumindest von Teilen der NPD-Jugendorganisation ‚Junge Nationalisten‘ ist möglich.“
Zur Kategorie der „Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen“ zählen insgesamt 395 (-15) Personen. Sie waren in 14 (-2) Personenzusammenschlüssen organisiert. Darunter fallen eine „Kameradschaft“, „Freie Kräfte“, „Bruderschaften“, Vereine wie „Zukunft Heimat“ sowie die „Identitäre Bewegung Deutschland“ und „Kampfsportgruppen“. Hinzu kommt noch die sich laut Müller „irgendwo zwischen Rechtsextremismus, verrückten Verschwörungserzählungen, wirren Umsturzfantasien, devoter Putin-Hörigkeit und üblem Antisemitismus einschwingende ‚COMPACT-Magazin GmbH‘“.
Das „weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial“ umfasste im Jahr 2021 insgesamt 1.600 (+15) Personen. Damit ist ein erheblicher Teil der dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremisten nicht fest in Parteien und ebenso nicht in parteiunabhängige Strukturen eingebunden. Trotz allem bestehen Kontakt- und Kennverhältnisse. Daher lassen sich aus dieser Gruppe jederzeit Personen für Szene-Aktivitäten mobilisieren.
1.245 (-40) und damit rund 43 Prozent aller dem Verfassungsschutz Brandenburg im Jahr 2021 bekannten Rechtsextremisten gelten als „gewaltorientiert“.
Die rechtsextremistische Musikszene Brandenburgs weist unverändert 24 (+/-0) Bands auf. Hinzu kommen 19 (+1) Liedermacher. Neben den lediglich zwei (+1) Konzerten und drei (-2) Liederabenden kam es jedoch zu insgesamt neun weiteren Auftritten im Rahmen privater Feierlichkeiten mit teilweise bis zu 100 Teilnehmern. Die Veröffentlichung neuer Tonträger ist auf 16 (+3) gestiegen.
Insgesamt betrachtet, treten rechtsextremistische Bestrebungen im Süden Brandenburgs weiterhin stärker als in anderen Landesteilen in Erscheinung. Diese Entwicklung beschreibt der Verfassungsschutz seit Jahren und setzt hier – gemeinsam mit Polizei und zivilgesellschaftlichen Akteuren – Schwerpunkte. Im Süden existiert eine über Jahrzehnte gewachsene, verdichtete und verzahnte Mischszene. Zu ihr zählen Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker, Parteimitglieder, Bekleidungs- und Musiklabels sowie Hooligans. Hinzu kommen weitere extremistische Aktivitäten, wie die vom Verein „Zukunft Heimat“ und vom Verdachtsfall AfD. Verstärkte Aufmerksamkeit muss zukünftig wieder dem Nordwesten des Landes gewidmet werden. Ende 2021 ist es dort der Organisation DER DRITTE WEG mehrfach gelungen, neben Szene-Angehörigen auch zahlreiche Bürgerinnen und Bürger auf den Straßen zu versammeln.
Linksextremismus
Sowohl im bundesweiten Vergleich als auch im Vergleich zum Rechtsextremismus ist der Linksextremismus in Brandenburg deutlich weniger relevant. Das Personenpotenzial fiel im Jahr 2021 auf 630 (-10). Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag unverändert bei 240 (+/- 0). Entsprechende Gewaltstraftaten sind im Jahr 2021 auf 18 (+6) gestiegen. In unverändert 14 (+/-0) Kommunen beziehungsweise Regionen waren gewaltorientierte Autonome aktiv. Härteste Gewaltstraftaten autonomer Linksextremisten gegen Staatsbedienstete, Politiker und selbstgewählte politische Gegner sind im Gegensatz zu anderen Bundesländern in Brandenburg glücklicherweise noch nicht zu beobachten. Allerdings werden Großunternehmen und kritische Infrastruktur zunehmend zur Zielscheibe.
Der sich um Rechtsbeistand für politisch-motivierte Straftäter kümmernde und somit gewaltrechtfertigende sowie -unterstützende Verein „Rote Hilfe“ zählte im Jahr 2021 unverändert 360 (+/-0) Mitglieder. Das ist weiterhin ihr höchster jemals in Brandenburg festgestellter Wert. Müller: „Innerhalb des Linksextremismus behauptet die ,Rote Hilfe` unangefochten ihre Rolle als übergreifende, zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation.“
Islamischer Extremismus
Das Personenpotenzial im Islamischen Extremismus steigt seit dem Jahr 2013 kontinuierlich an und lag Ende 2021 bei 210 (+10). Davon beträgt das salafistische Personenpotenzial unverändert 160 (+/-0). Der Salafismus ist der geistige Nährboden für den terroristischen Jihadismus und sich schnell radikalisierende Einzeltäter. Im Jahr 2021 war Brandenburg von zwei Vereinsverboten in dieser Szene mit betroffen. Auf 80 (+10) ist die Zahl islamischer Extremisten gestiegen, die Bezüge zur „Islamistischen Nordkaukasischen Szene“ aufweisen. Diese sind relevant, denn Gruppierungen im Kaukasus hatten sich teilweise dem terroristischen „Islamischen Staat“ (IS) unterstellt. Müller: „Brandenburg steht vor der Herausforderung, Einflussnahmeversuche von Islamisten auf die muslimische Infrastruktur im Land abzuwehren. Hier werden in Zukunft verstärkt präventive Ansätze notwendig sein.“
Überprüfungen und Informationsveranstaltungen
Der Verfassungsschutz wirkte zudem an 6.384 (-3.052) Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit und führte 367 (+59) Sicherheitsüberprüfungen durch. Im Bereich Verfassungsschutz durch Aufklärung konnten die Vorträge trotz der pandemischen Beschränkungen wieder auf 37 (+6) erhöht werden. Die Teilnehmerzahl ist dabei auf rund 1.670 (+860) gestiegen.